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Wenn das Zuhause smart wird – und man nicht gefragt wurde

von Tanja Lehmann, Franziska Baum und Andreas Bischof

Die zunehmende Integration vernetzter, sogenannter smarter Technologien in private Haushalte verändert nicht nur den Alltag vieler Menschen, sondern auch grundlegende Machtverhältnisse im häuslichen Raum über die Frage, wer Zugang zu den anfallenden Daten erhält. Besonders Smart-Home-Systeme gelten als autonomie- und effizienzsteigernd sowie komfortoptimierend. Solch positive Leitbilder dominieren gegenwärtige Diskurse unter anderem durch Produktwerbung, denn alles erscheint einfacher, besser und hochwertiger, wenn es smart ist, ob Jalousien, Garagentor oder die Einbauküche. Dies lässt wenig Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich solche Technologien auf Personen auswirken, die nicht aktiv am Kauf und der Installation beteiligt waren. In diesem Blogbeitrag diskutieren wir, wie sich durch die Einführung smarter Infrastrukturen neue Formen unfreiwilliger Partizipation herausbilden, die insbesondere solche Haushaltsmitglieder betreffen, die keine Entscheidungsmacht über digitale Systeme besitzen. Es zeigt sich, dass smarte Technologien im Alltag nicht nur vermeintlich einfache Funktionen übernehmen, sondern zugleich soziale Strukturen reproduzieren oder sogar verstärken können. Beispielsweise, wenn bestehende Machtasymmetrien durch technisch-vermittelte Kontrolle ergänzt werden.

Vor diesem Hintergrund wurde das empirische Forschungsprojekt Simplications in 18 Haushalten mit einem inter- und transdisziplinären Ansatz durchgeführt. Dabei kamen einfache Sensoren zum Einsatz, die etwa Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Helligkeit oder Bewegung erfassten. Sensoren, die typischerweise in einem Smart Home Device verbaut sind, wurden 14 Tage in teilnehmenden Haushalten über ein Sensorkit zur Verfügung gestellt und Zugriff auf Datenvisualisierungen ermöglicht. Die Stichprobe bestand aus acht älteren Ehepaaren im Ruhestand (60-70 J), fünf tech-affinen Männer mittleren Alters (30-50 J), sowie zwei Familien (30-40 J) mit Kindern (zwischen 2 und 10 Jahren), zwei Studierendenhaushalten (1 WG) (20-30 J), sowie einer alleinstehenden Frau im Ruhestand (60-70 J), die sich auf unsere öffentlichen Aufrufe gemeldet haben. Ziel des Projekts war es, in drei Schritten vorzugehen: erstens die partizipative Erhebung von Implikationen, zweitens deren interdisziplinäre Auswertung und Übertragung in ein Transferkonzept und drittens die Umsetzung dieses Konzepts für die Zielgruppen Bürger:innen und Expert:innen.

Auf Basis qualitativer Fallanalysen zeigt sich, dass Personen häufig in Smart-Home-Umgebungen eingebunden sind, ohne diese aktiv mitzugestalten, bewusst zu reflektieren oder gar kontrollieren zu können. Die Konfiguration der Systeme, und damit der Zugriff auf die stetig erhobenen Daten und die Interpretation der daraus generierten Informationen, liegen meist in der Hand einer einzelnen Person. Häufig handelt es sich hierbei um technikaffine Männer mit beruflicher IT-Expertise, während andere Mitbewohner:innen lediglich “passive Nutzer”innen digitaler Datenerfassung darstellen. Die von uns und in vielen Smart-Home-Systemen erhobenen Daten erscheinen zunächst harmlos, wie etwa einfache Messwerte der Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Helligkeit oder Lautstärke. Smart bedeutet jedoch nicht nur vernetzt, sondern vor allem, dass Werte kontinuierlich aufgezeichnet werden und somit detaillierte Rückschlüsse auf individuelle Verhaltensmuster, Aufenthaltsorte, Routinen und Gewohnheiten möglich sind. Es entsteht eine informationelle Asymmetrie. Diese bleibt in der Regel unsichtbar, ist jedoch hochwirksam, da sie Wissen über Andere generiert, ohne dass diese Personen die Möglichkeit der Einflussnahme oder Verweigerung offensteht.

Insbesondere Frauen und Kinder sind in dieser Konstellation häufig in einer strukturell unterlegenen Position. Während männliche Technikverantwortliche im Haushalt nicht nur über die Mittel, sondern auch über das Wissen zur Administration smarter Systeme verfügen, bleiben ihren Partner:innen oder Kindern sowohl technisch als auch sozial Zugänge verwehrt. In den von uns und unseren mitforschenden Teilnehmenden erhobenen Daten zeigt sich, dass die Partnerinnen von Smart-Home-Verantwortlichen häufig sichtbar werden, beispielsweise in Hinblick auf ihre Bewegungen. So hielt ein Teilnehmer in seinen Notizen zu den Sensordaten etwa fest “Partnerin geht zum Sport”. Dabei empfinden nicht nur die Partnerinnen eine solche Sichtbarkeit ihres Alltagslebens häufig als unangenehm oder einschränkend. Wenn die eigenen Muster in unseren Fokusgruppen für andere Teilnehmende sichtbar wurden, so war dies auch den Technikverantwortlichen selbst unangenehm. Technikverantwortliche und passive Nutzende eint dabei, dass sie keine konkreten Handlungsoptionen im Umgang mit diesem Privatheitsverlust erkennen. Die Erhebung verdeutlicht, dass der digitale Zugriff auf Routinen von Partner:innen, Kindern oder Besuch erfolgt, z. B. wann sie sich in welchem Raum aufhalten, oder welche Geräte zu welcher Zeit genutzt werden. Dieser Zugriff geschieht meist ohne offene Kommunikation oder informierte Zustimmung. Während dieser Zustand für die technikverantwortliche, administrierende Person selbstverständlich und legitim erscheint, wird den übrigen Haushaltsmitgliedern die Bedeutung der Technologie und ihrer Implikationen oft nicht transparent gemacht. Die Vorstellung, dass smarte Geräte entscheidende funktionale Erleichterungen darstellen, wird dagegen aktiv betont und teilweise mit besonderen ‘Annehmlichkeiten’ verbunden, z. B. indem auch Haushaltsgeräte, die in der Zuständigkeit der Partnerin verortet sind, ins bestehende Smart Home System eingebunden werden. Dies erfolgt bspw. über Meldungen auf dem Handy, wenn der Stromverbrauch eines Geräts endet. Dies überdeckt jedoch die Realität einer digital vermittelten Sichtbarkeit, die tief in private Lebensbereiche hineinwirkt und eine intime Überwachung ermöglicht. Denn wie die Partnerin in einem Fall selbst leise anmerkt, könnte der Ehemann über die gleiche Steuerung auch den Fernseher ausschalten, auf dem sie ihre Sendung schaut.

Eine besondere Sensibilität gegenüber diesen Kontrollmechanismen zeigen Kinder, die häufig intuitiv auf intime Überwachung reagieren. In den Befragungen äußerten vor allem Kinder im Alter von 7-10 Jahren ein starkes Gefühl, beobachtet zu werden. Auf die Frage, wie es ihnen ergangen sei, antwortet ein Kind:  “Schlecht. Denn man konnte alles und ALLES messen in meinem Zimmer obwohl das privat ist”. Diese Wahrnehmung zeugt von einem Spannungsverhältnis zwischen dem elterlichen Wunsch nach Schutz, im Sinne der Kontrolle, bspw. guter (klimatischer) Bedingungen im Kinderzimmer, einerseits und dem kindlichen Bedürfnis nach Rückzugsräumen und Autonomie andererseits. Während Eltern glauben, durch die technische Erfassung von Schlafzeiten, Raumklima oder Bildschirmnutzung objektive Sicherheit herstellen zu können und dies als Beleg einer guten Elternschaft verstanden wissen wollen, erleben Kinder diese Sichtbarkeit als Eingriff und Einschränkung ihrer Freiheit. Hier offenbart sich die Ambivalenz smarter Technologien besonders deutlich. Diese versprechen Kontrolle und Sicherheit, erzeugen jedoch gleichzeitig neue Formen des Eingriffs in persönliche Rückzugs- und Entfaltungsspielräume.

Auch ältere Menschen sind von diesen Dynamiken betroffen, häufig in Form institutionalisierter Systeme des altersgerechten Wohnens, die dem Versprechen von mehr Autonomie folgen. Die installierte Sensorik, um etwa Kühlschranknutzung, Türbewegungen oder nächtliche Aktivität zu erfassen, soll ermöglichen, frühzeitig auf kritische Veränderungen im Verhalten reagieren zu können. Doch auch hier ist eine kritische Perspektive notwendig, denn die Sensorik ermöglicht nicht nur vermeintlich abgesicherte Autonomie, sondern auch die Kontrolle der älteren Menschen, ihrer An- und Zugehörigen sowie von Pflegekräften. Oft fehlt es an umfassender Aufklärung über die Funktionsweise und Reichweite der Technologie bei diesen (vermeintlich) sekundären Nutzer:innen. Betroffene sind sich selten bewusst, welche Daten erhoben, wie sie gespeichert und durch wen sie ausgewertet werden. Die Vorstellung, dass Technologie in diesem Kontext ausschließlich dem Schutz von unterstützungsbedürftigen Personen dient, verhindert eine differenzierte Auseinandersetzung über mögliche Risiken, etwa hinsichtlich algorithmischer Fehlinterpretationen, ungewollter Weitergabe an Dritte wie Versicherungen oder einer dauerhaften Reduktion älterer Menschen auf überwachte Objekte pflegerischer Fürsorge.

Ein zentrales Problem im Umgang mit Smart-Home-Systemen innerhalb smarter Wohnräume liegt in der Individualisierung von Verantwortung. Anforderungen an den Datenschutz werden als private Aufgabe verstanden, die von den technikverantwortlichen Personen in unserer Stichprobe häufig mit einem „Ich passe schon auf meine Daten auf“-Mindset beantwortet wird, sofern die technische Expertise dies erlaubt. Wer dies nicht tut, ist im Umkehrschluss selbst für fehlende Privatheit verantwortlich. Diese Verschiebung der Verantwortung für Privatheit und Datenschutz von den Herstellern zu den Nutzenden führt dazu, dass kollektive Betroffenheiten unsichtbar bleiben. Zudem wird übersehen, dass die technische Infrastruktur auch Personen betrifft, die keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung haben, eine intime Überwachung ermöglicht wird und somit die Technik Teil eines Machtverhältnisses ist, das den privaten Raum gestaltet und verändert. Solange aber die technikverantwortliche Person glaubt und glaubhaft macht, verantwortungsvoll zu handeln, findet in der Regel keine weitergehende Reflexion darüber statt, wie sich diese Datenpraxis und das darin enthaltene Machtverhältnis auf andere im Haushalt auswirkt. Die eigene Machtposition wird selten als eine solche erkannt oder reflektiert. 

Hinzu kommt ein fehlendes Problembewusstsein über die Möglichkeiten zur Verwertung solcher haushaltsbasierten Daten. Unabhängig von der Expertise der Teilnehmenden zeigte sich in den Gruppendiskussionen, dass viele Nutzer:innen zwischen menschlicher und maschineller Datennutzung unterscheiden. Während der Zugriff durch andere Menschen als potenziell sehr problematisch wahrgenommen wird, gelten algorithmische Auswertungen oder automatische Steuerungen als neutral oder harmlos. Viele glauben, dass sie höchstens mehr Werbung angezeigt bekommen, aber sich sicher kein Mensch die Mühe mache, eine solche Datenfülle zu überwachen. Diese Wahrnehmung verkennt jedoch die reale Wirkmacht algorithmischer Systeme, die Verhalten beeinflussen, Entscheidungen suggerieren oder normierende Rückschlüsse über Normalität und Abweichung generieren können. So kann bspw. ein für die Öffentlichkeit freigegebenes Large Language Model anhand solcher über 14 Tage erhobener Sensordaten Bewegungsprofile (typische An- und Abwesenheiten), Verhaltensmuster (z. B. Musizieren, Fernsehen, etc.) und Räume bzw. deren Funktion identifizieren. Die Vorstellung, dass nur gezielte Auswertung schaden anrichtet und Werbung angezeigt werde, verkennt, wie die Vielzahl an Datenpunkten dazu führt, dass Rückschlüsse auf das gesamte Leben und damit auch die Person, ihre Vorlieben, Gewohnheiten und Gesundheitszustände möglich sind. Die Empfindung der Kinder erscheint vor diesem Hintergrund somit treffsicherer als die der erwachsenen Studienteilnehmenden. Diesen bleiben häufig nur zwei diametrale Positionierungen: die vollständige Ablehnung über Glaubenssätze, solche Technik nicht ins eigene Haus zu lassen, oder die konträre Vorstellung, mit der Absicherung nach außen ausreichend Sicherheit selbst herstellen zu können.

Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, die Einführung und Nutzung smarter Technologien nicht als individuelle Entscheidung, sondern aufgrund der kollektiven Betroffenheit als sozialen Aushandlungsprozess zu begreifen. Wer in einem smarten Wohnraum lebt, ist zwangsläufig Teil eines sozial-technischen Systems, das auf Datenerhebung, -sammlung und -verarbeitung beruht. Diese Realität macht es erforderlich, neue Formen kollektiver Entscheidungsfindung, Aufklärung und Regulierung zu entwickeln. Es braucht niedrigschwellige Informationsangebote für sekundäre Nutzer:innengruppen, eine gezielte Einbeziehung der Perspektiven von Kindern und älteren Menschen und ihren Sorgezugehörigen, rechtlich abgesicherte Zugriffsrechte für passiv Betroffene sowie ein kritisches Bewusstsein für die soziale Dimension technischer Kontrolle im nur noch vermeintlich privaten Raum. In einer Gruppendiskussion wünschten Teilnehmende sich bspw. Beipackzettel, in denen die Risiken und Nebenwirkungen sichtbar werden. Denn nur wenn alle Beteiligten in die Gestaltung smarter Infrastrukturen eingebunden werden, kann das Versprechen eines ‚intelligenten Wohnens‘ oder ‚altersgerechten Smart Homes‘ mit den Prinzipien von Autonomie, Transparenz und Datenschutz vereinbar gemacht werden. Andernfalls droht die smarte Wohnung zu einem Ort zu werden, in dem sich technologische Abhängigkeiten und soziale Ungleichheiten unbemerkt verfestigen.

Über die Autoren

Tanja Lehmann, Dr. phil., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juniorprofessur Soziologie mit Schwerpunkt Technik an der TU Chemnitz. Sie forscht u.a. zur Internetnutzung im Strafvollzug und zur Bedeutung/Implikationen von einfachen Sensordaten in der Kriminalistik.

Franziska Baum ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Simplications und forscht zu Subjektivierung und Sorgearbeit, Arbeits-Plattformen für Care-Aufgaben bzw. Digitalisierung von Sorgearbeit und den Schnittstellen zwischen Sorgearbeit und Sensorik im eigenen Zuhause.

Andreas Bischof, Dr. phil., ist Juniorprofessor für Soziologie mit Schwerpunkt Technik an der TU Chemnitz. Er forscht u.a. zur Digitalisierung von Alltagswelten wie Arbeit, Bildung oder dem Zuhause und entwickelt dabei partizipative und transdisziplinäre Zugänge, um die “black box” digitale Technik und ihre Implikationen mit Nutzer:innen zu öffnen.

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