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Drei Gründe für das Teilen von persönlichen Informationen auf Social Media

von Asja Ahatovic

Social Media-Plattformen wie Instagram und TikTok sind heutzutage in aller Munde. Vor allem die junge Generation verbringt sehr viel Zeit mit diesen Apps. Hauptsächlich geht es dabei um das Teilen von Videos und Fotos, um die Interaktion mit Menschen aus aller Welt und die Darstellung der eigenen Person und des eigenen Lebens. Sehr häufig sind es persönliche Informationen, die mit anderen ausgetauscht werden. Beispiele für typische Inhalte, die auf Social Media geteilt werden, sind der eigene Aufenthaltsort oder tägliche Aktivitäten. Immer häufiger werden auch politische Überzeugungen, die sexuelle Orientierung sowie der mentale und physische Gesundheitszustand zum Thema. Menschen erzählen Geschichten über toxische Liebesbeziehungen, über ihren Kampf mit Essstörungen oder ihre Erfahrungen mit Diskriminierung.

Diese Entwicklung steht in einem direkten Spannungsverhältnis mit dem Wert der Privatheit, den viele Menschen schätzen. In der philosophischen Literatur zum Thema Privatheit wird deshalb hauptsächlich eine negative Einschätzung dieser Plattformen abgegeben. Carissa Véliz ist beispielsweise davon überzeugt, dass Soziale Medien durch ihre Kultur des Enthüllens und übermäßigen Teilens den Wert der Privatheit untergraben. (Siehe Véliz 2022, S. 37)   Laut Véliz ist die Privatheit deshalb so wertvoll, weil sie uns vor Übergriffen durch andere schützt – insbesondere durch jene, die sich in Machtpositionen befinden. Persönliche Informationen sollten privat gehalten werden, weil sie sonst leicht gegen uns verwendet werden können.  (Siehe Carissa Véliz‘ Buch Privacy is Power 2020) Anita Allen argumentiert für eine Pflicht, seine eigene Privatheit zu beschützen und deshalb im Normalfall keine persönlichen Informationen zu teilen (Siehe Allen 2012). Diese Pflicht ergibt sich laut Allen aus der grundlegenden Bedeutsamkeit unseres Wohlbefindens, das durch das Teilen von persönlichen Informationen online stark gefährdet wird. Darüber hinaus sollten nicht nur die Risiken thematisiert werden, die mit dem Teilen persönlicher Informationen gegenüber anderen Nutzer*innen verbunden sind, sondern auch die Gefahren durch Profiling und Tracking sowie der Verlust von Privatheit gegenüber den Social-Media-Plattformen selbst. Ich denke, diese Skepsis gegenüber Social Media und der Appell, die eigene Privatheit zu schützen, sind eine plausible Reaktion auf die Entwicklungen unserer Zeit. Dennoch ist es wertvoll, auch die andere Seite zu beleuchten, weshalb ich mir im Folgenden die Frage stelle: Welche überindividuellen Gründe könnten wir für das Teilen persönlicher Informationen haben? Inwiefern ist es auch aus einer gesellschaftlichen Perspektive gut und wertvoll, persönliche Informationen auf Social Media zu teilen?

Zunächst muss geklärt werden, was ich mit persönlichen Informationen meine; und zwar Informationen, die typischerweise als persönlich gelten, wie sexuelle Orientierung, politische Einstellung oder gesundheitliche Probleme. Ein verbindendes Merkmal dieser Art von Information ist ihr Missbrauchspotenzial in Form von Diskriminierung. Ein Beispiel wäre die Verweigerung eines Jobs aufgrund geteilter persönlicher Informationen über seine politischen Ansichten. Es kommt leider nicht selten vor, dass ArbeitgeberInnen ihre Job-KandidatInnen genauer unter die Lupe nehme und dabei auf persönliche Informationen stoßen, die sie dann gegen sie verwenden. Ich möchte im Folgenden jedoch dafür argumentieren, dass wir starke und auf das eigene Wohlergehen bezogene, moralische und wissensbezogene Gründe haben, persönliche Informationen auf Social Media zu teilen. Fangen wir mit den auf das eigene Wohlergehen bezogenen Gründen an: Die Idee ist, dass wir durch das Teilen von persönlichen Informationen uns selbst etwas Gutes tun, beziehungsweise unser Wohlbefinden steigern können. Nehmen wir an, jemand steckt in einer toxischen Liebesbeziehung fest und leidet stark darunter. Diese Person hat vielleicht niemanden in ihrem Umfeld, der ihr Leiden wirklich versteht, weil keine ihrer Freund*innen oder Familienmitglieder je solch eine Beziehung erlebt hat. Nun ist es aber genau dieses Verständnis, das ihr wirklich fehlt. Wenn sie sich dazu entscheidet, ihre Geschichte auf zum Beispiel TikTok zu teilen, könnte sie genau auf diejenigen User*innen stoßen, die etwas Ähnliches durchmachen bzw. bereits durchgemacht haben. Durch das Teilen ihrer Geschichte, kann sie das Verständnis und vielleicht auch die Ratschläge erhalten, die sie benötigt, um sich besser zu fühlen. Manchmal reicht es auch einfach zu sehen, dass man nicht allein mit seinem Leid ist. Mit ähnlichen Überlegungen kann man ein moralisches Argument für das Teilen entwickeln: Man kann sehr vielen Menschen damit helfen, eigene persönliche Informationen zu teilen. Ein Beispiel dafür wäre jemand, der mit einer Angststörung zu kämpfen hat und sich dazu entschließt, auf TikTok darüber zu sprechen. Er/Sie erzählt nicht nur, wie es sich anfühlt, eine Panikattacke zu haben, sondern erklärt auch, was ihm/ihr besonders hilft, um einer Panikattacke vorzubeugen beziehungsweise besser damit umzugehen. Angesichts der Tatsache, wie viele Menschen ebenfalls mit solch einer Angststörung zu kämpfen haben, wäre es ein wichtiger Beitrag, seine Tipps und Erfahrungen mit anderen zu teilen.
Schließlich spricht noch ein weiterer Grund für das Teilen von Informationen: Man verbreitet Wissen oder lenkt Aufmerksamkeit auf moralisch bedeutsame Phänomene oder Ereignisse. Die #MeToo-Bewegung ist ein gutes Beispiel. Dabei haben vor allem viele Frauen sehr persönliche Informationen darüber geteilt, was ihnen widerfahren ist und mit #MeToo auf Social Media Bewusstsein für das strukturelle Problem des Machtmissbrauchs und sexueller Übergriffe geschaffen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es entgegen der bestehenden Literatur zum Thema, doch starke und gute Gründe dafür gibt, persönliche Informationen zu teilen. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass nicht auch viele gute Gründe dagegensprechen.

Quellen:

Véliz, C. (2022). Self-presentation and privacy online. Journal of Practical Ethics9(2)

Véliz, C. (2021). Privacy is power. Brooklyn: Melville House.

Allen, A. L. (2012). An ethical duty to protect one’s own information privacy. Ala. L. Rev.64, 845.

Über die Autorin

Asja Ahatovic hat einen Bachelor of Education in Deutsch und Philosophie-Psychologie sowie einen Master in Philosophie von den Universitäten Salzburg und Turin. Derzeit ist sie Doktorandin im Rahmen eines FWF-Forschungsprojekts zum Thema Privatheit unter der Betreuung von Prof. Leonhard Menges an der Universität Salzburg.
Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Begriff der Privatheit, insbesondere im Kontext sozialer Medien. Mehr Informationen hier: Salzburg Ethics Group

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